Der wachsende Weindurst der Chinesen

Höflich bittet der Schlossherr durchs Eingangsportal, über dem ein Wappen mit einem blauen Drachen prangt. Der Schwanz umklammert einen Rotweinkelch. Vom weitläufigen Vorhof führt eine Treppe hinunter in den Felsenkeller. Gewaltige Granitbrocken ragen in die kühle Halle hinein, vor den Stahltanks stapeln sich Barriquefässer. „Wir haben hier eine gleichbleibende Temperatur und Luftfeuchtigkeit“, erläutert Hao. „Das sind ideale Bedingungen.“ Auf 20 Hektar Hügelflächen bauen er und seine Mitarbeiter Rot- und Weißweinsorten an, darunter Chardonnay, Viognier, Marselan und Merlot. Im vergangenen Jahr erbrachte die Lese etwa 10.000 Flaschen, die umgerechnet 20 bis 55 Euro kosten.

Haos Chef, der Eigentümer des Weingutes, ist ein Schotte. Chris Ruffle lebt seit vielen Jahren in Fernost und ist dort als Fondsmanager zu Vermögen gelangt. Aus Leidenschaft und Investitionsinteresse versucht er sich seit Jahren am Weinanbau in der Region um die Hafenstadt Penglai. In Erinnerung an seine Heimat und auch, weil es den verspielten Chinesen gefällt, ließ Ruffle zwischen den Weinstöcken, Apfel- und Pfirsichbäumen die klobige Burg errichten. Als Architekten gewann er den schottischen Altmeister Ian Begg. Nach vielen bürokratischen und klimatischen Rückschlägen stand 2009 nicht nur das Gebäude samt Festsaal, Gästezimmern mit Himmelbetten und Gobelins. Es gelang auch die erste erfolgreiche Weinabfüllung. Die Investitionen gibt Hao mit 70 Millionen Yuan an, etwa 7,4 Millionen Euro.

Dass Schottland nicht gerade als ein ausgewiesenes Weingebiet gilt, tut der Attraktivität des Schlosses keinen Abbruch. Schließlich habe man auch importierte Whiskys im Angebot, sagt Hao, und dann gebe es ja noch dieses Fresko im Treppenhaus. Es zeigt die Ankunft schottischer Seefahrer und Ritter an der nahe gelegenen Nordküste der Shandong-Halbinsel. Angeblich erlitten sie dort Schiffbruch und wurden von Gesandten des Ming-Kaisers freundlich aufgenommen. „Das rechtfertigt doch, hier eine schottische Burg zu bauen und europäischen Wein anzubauen“, findet Hao.

Die beste Rechtfertigung ist wohl eine andere: der wachsende Weindurst der Chinesen. Mit steigendem Wohlstand ist das Reich der Mitte nicht nur zum wichtigsten Rohstoffverbraucher aufgestiegen, sondern auch zu einem der führenden Märkte für Luxusgüter und Genussmittel. In keinem der großen Länder wächst der Weinkonsum so rasant wie in China. Nach Angaben des Weininstituts in Kalifornien rangiert das Land mit einem Anteil von fast 7 Prozent am Weltkonsum schon jetzt auf Platz fünf gleich hinter Deutschland. Da der Pro-Kopf-Verbrauch der 1,3 Milliarden Einwohner noch immer gering ist, schlummert hier weiterhin ein gewaltiger Nachholbedarf.

Lukrative Geschäfte

Die Chinesen kennen den Wein schon lange, nach einer Theorie haben sie ihn sogar erfunden. Gesichert ist, dass die Europäer den Rebenanbau in der Missions- und Kolonialzeit in China vorantrieben. Doch erst seit der Öffnungspolitik der achtziger Jahre setzt sich das Getränk in weiteren Kreisen durch. „Es ist noch immer ein Nischenmarkt, aber das bedeutet in China ja schon etwas“, sagt Ji Chunmei, die Vizedirektorin des Weinverbandes von Penglai. Der Verband vertritt 70 Weingüter, die meisten sind privat. „Auf Festen und bei Geschäftsessen wird immer mehr Wein und immer weniger Schnaps getrunken“, sagt Ji zufrieden.

Der Norden der Halbinsel Shandong mit den Hafenstädten Penglai und Yantai gilt als Chinas wichtigste Weinregion. Ein Viertel des Anbaus findet hier statt, die Branche ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor. „Und natürlich machen wir hier Chinas besten Wein!“, sagt Ji selbstbewusst. Das liege an dem gemäßigten Klima, der milden Seebrise und den guten Böden. Ji fährt mit dem Finger über eine Weltkarte mit aufgedruckten Weinblättern und prallen roten Trauben. „Wir liegen etwa auf einer Höhe mit Bordeaux, der Toskana und dem Napa Valley in Kalifornien“, sagt sie. Nicht zuletzt deshalb habe man die alte Flurbezeichnung „Nan Wang“ (Südlicher König) etwas abgewandelt. Das Tal heißt jetzt Nava Valley.

Trotz solcher Bemühungen der einheimischen Winzer ziehen chinesische Connaisseurs ausländische Tropfen noch immer vor. Die Einfuhr von Rotwein steigt um bis zu 50 Prozent im Jahr. Längst geht es dabei nicht mehr nur um Massenware, sondern auch um erste Gewächse. Auf Hongkonger Weinauktionen werden die höchsten Preise erzielt, bei Vorabbestellungen teurer Jahrgänge aus dem Bordeaux sind die Chinesen ganz vorn dabei. Spitzenweingüter wie Château Lafite Rothschild verkaufen jeden zehnten Wein ins Reich der Mitte, bei Château Margaux ist es jeder Dritte. Unterdessen erwerben die Asiaten immer mehr Weingüter im Ausland, von Frankreich bis Australien, um an dem lukrativen Geschäft mitzuverdienen und den Anbau zu lernen.

Vielversprechendes neues Absatzfeld

Viele westliche Weinliebhaber sind entsetzt, dass Traditionsbetriebe in asiatische Hände gelangen und dass die Nachfrage aus Fernost die Preise für gute Weine hochtreibt. Die Winzer sehen das positiver, für sie ist das Riesenreich ein vielversprechendes neues Absatzfeld. Immer mehr drehen den Spieß um und lassen sich ihrerseits in China nieder. Dort sind die Kosten niedriger, der Marktzugang einfacher, die hohen Zölle auf alkoholische Getränke entfallen. In der Provinz Ningxia westlich von Shandong will der Champagnerproduzent Moët Hennessy Schaumweine keltern. Lafite Rothschild baut gemeinsam mit dem Finanzdienstleister Citic für 11 Millionen Euro ein Weingut in Penglai, weiß Ji. „Zehn Ausländer sind schon hier“, sagt sie. „Vor acht, neun Jahren war es kein einziger.“ Château Auzias aus dem Languedoc in der Nähe von Carcassonne hat sich als Partner die Familie Wu ausgesucht. „Wir haben tolle Unterstützung aus Frankreich“, lobt Ehefrau Li Meiling und krault zwei Schäferhundwelpen, die ihr bei jedem Schritt im Weg stehen. „Aber es ist ein steiniger Weg.“ Hinter einem schmiedeeisernen Tor, das die Chefin nur mit Mühe aufdrücken kann, liegen die Wirtschaftsgebäude und ein quietschrosa gestrichenes Herrenhaus. Die Familie ist über die Zigarren- und Weinliebe des Ehemannes zum Rebenanbau gekommen und über einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt in Belgien. Eigentlich verdienen die Wus ihr Geld mit einer Fabrik für Autoschmiermittel in Schanghai. „Das sind ja auch irgendwie Flüssigkeiten“, scherzt Li Meiling. „Wir sehen das hier als Investition – und als ein ziemlich teures Hobby.“

Vor einigen Jahren entdeckten sie die Felder in Liujiagou außerhalb von Penglai und schickten Bodenproben nach Frankreich. Als das Ergebnis positiv ausfiel, erwarben sie die Nutzungsrechte für die 350 Mu (23 Hektar) und ließen sich 130.000 Weinstöcke aus Frankreich liefern, vor allem Cabernet Franc und Shiraz. Den ersten eigenen Wein konnten die Wus 2007 probieren und fühlten sich danach ermutigt. „Der meiste Wein aus China taugt nichts, das wollen wir ändern“, sagt Li Meiling. Das Chateau Reifeng-Auzias verzichtet auf den Verschnitt mit anderen Weinen, nutzt keinen Dünger, lässt die Trauben von Hand lesen und hält den Ertrag gering. Statt 1000 Kilogramm je Mu (7 Ar oder 0,07 Hektar) wie die großen Weingüter bringe man nur 400 Kilogramm ein, versichert die Unternehmerin.

Das Geschäft mit den Edelsorten

50 Millionen Yuan, mehr als 5,3 Millionen Euro, haben die Familie und ihre französischen Partner in das Vorhaben gesteckt. An einen Gewinn ist noch lange nicht zu denken. Da der Vertrieb kompliziert und teuer ist, beliefert das Haus vor allem persönlich bekannte Händler in der Umgebung und in Schanghai. Die Flaschen kosten um die 100 Yuan (11 Euro). „Als private Winzer haben wir kaum eine Chance gegen die Werbemacht der großen Staatskonzerne“, sagt Ji mit einem Schulterzucken. „Wir hoffen, dass sich am Ende unsere Qualität durchsetzt.“

Die Erwartung könnte trügen, denn auch die Großen der Branche wollen sich das Geschäft mit den Edelsorten nicht entgehen lassen. Chinas führende Weinkonglomerate sind das chinesisch-französische Gemeinschaftsunternehmen Dynasty, an dem Remy Martin beteiligt ist, und die staatliche Gruppe Great Wall. Sie gehört zur Lebensmittelholding Cofco, dem größten Steuerzahler in Penglai. Seit vier Jahren unterhält Cofco dort einen Vorzeigebetrieb namens Chateau Junding, der auf Klasse statt auf Masse setzt.

Freilich ist die Größenbeschränkung relativ, denn mit 400 Hektar stellt das Gelände die meisten Privatweingüter in seinen langen staatlichen Schatten. Schon von weitem leuchtet die cremefarbene Anlage mit dem stilisierten Glockenturm durch die Rebenfelder hindurch. Der Wein erstreckt sich bis zum Phönix-See, der in einer Senke hinter dem Anwesen glitzert. Hochzeitspaare und Mannequins nutzen die eindrucksvolle Kulisse für Fotoaufnahmen, dazwischen radeln Ausflügler mit ihren Mietfahrrädern. Sie kommen im hauseigenen Fünfsternehotel unter, das sich Clubhaus nennt. Die Damen können in Chinas einzigem Wein-Spa in verdünntem Rebensaft mit Rosenblättern baden, die Herren verbessern unterdessen ihr Handicap auf dem benachbarten Golfplatz.

Yachtausflüge zum Hochseeangeln

„Wein ist mehr als das Getränk, Wein ist eine gehobene Lebensart“, sagt Chen Yunchang und schreitet durch das Vestibül des Clubhauses, in dem ein roter Konzertflügel des Leipziger Klavierbauers Blüthner steht. Chen ist der Chef des Unternehmens und mit 45 Prozent dessen Miteigentümer. Sein halbes berufliches Leben hat er bei einer staatlichen Bank gutes Geld verdient, dann zog es ihn in die Natur hinaus. Für gutbetuchte Kunden organisierte er Yachtausflüge zum Hochseeangeln, die von Yantai bis nach Moambique führten. Sehr erfolgreich war Chen mit dem Geschäft nicht, aber er vertiefte sich auf den langen Törns in viele Bücher, auch über Wein. Zurück in China, stieg er in den Weinimport ein, bis ihn ein Freund einlud, sich an einem eigenen Gut zu versuchen. Dieser Freund war der ehemalige Cofco-Chef.

Die Partner haben eine halbe Milliarde Yuan (53 Millionen Euro) in das Chateau Junding gesteckt und sich nicht weniger vorgenommen, als bis 2020 den besten Wein Asiens zu keltern. Mit ihren schweren Roten sind sie auf einem guten Weg dorthin, auch wenn die Preise unangemessen hoch sind. Die Einsteigersorte „Glory“ liegt auf jedem der Hotelzimmer bei der Minibar bereit. Selbst im ermäßigten Clubtarif kostet die Flasche 1059 Yuan (113 Euro). Chen rechtfertigt das mit den hohen Werbe- und den Kreditkosten für das teure Land sowie den kleinen Erträgen der Qualitätslagen. Erst in fünf Jahren rechne man mit einem Gewinn. Der Betrieb will über die Mondpreise aber wohl auch suggerieren, dass sich eine Flasche Chateau Junding ebenso gut als Statussymbol eignet wie ein teurer Bordeaux.

„Das wird keine große Ernte

Wenn Chen nicht gerade telefoniert, raucht er. Der Tabak sei sein Laster, gibt er zu, Alkohol trinke er nur gelegentlich bei gesellschaftlichen Abendessen. „Wein ist ein Geschäft wie jedes andere in unserem Land“, sagt er, „jung, unterentwickelt und deshalb mit einer großen Zukunft.“ Chateau Junding könne in China genügend Potentiale heben, deshalb plane man keine Zukäufe im Ausland oder gar den Export. Chen nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und schiebt dann nach: „Bis auf weiteres jedenfalls.“

Einen Steinwurf von Chens Kristallaschenbecher entfernt jätet Tian Shuzhen Unkraut zwischen den Weinreben. Sie hat den hochgeschossenen Brillenträger noch nie gesehen. „Ich weiß, wer er ist, würde ihn aber nicht erkennen“, sagt die 56 Jahre alte Winzerin und reißt an einer hartnäckigen Schlingpflanze. Aus dem Unterholz beim See ruft ein Fasan, Klatschmohn und Kornblumen wiegen sich im Wind. „Es ist zu kalt in diesem Jahr“, murmelt die wettergegerbte Frau, „das wird keine große Ernte.“ Der Wein reicht ihr kaum bis zur Brust, eigentlich müsste er jetzt schon auf Halshöhe stehen.

Tian bewirtschaftet ihr eigenes Land und verkauft die Trauben an Chateau Junding. Die zehn Mu (0,7 Hektar oder 70 Ar) bringen etwa 6000 Kilogramm Ertrag ein. Im vergangenen Jahr zahlte das Gut 4,40 Yuan je Kilo, bei schwachen Lesen liegt der Preis höher. Mit einem Jahreseinkommen von kaum 3000 Euro kann sich Tian den Wein, den sie anbaut, selbst nicht leisten. Sie lacht glucksend: „Das macht aber nichts, ich mag ohnehin gar keinen Alkohol.“